Wenn das Nachtasyl das einzige „Zuhause“ ist

Ostseezeitung, Freitag, 17. April 2020, Hansestadt Rostock
von Bea Schwarz

Rostocker Stadtmission hilft Menschen ohne Obdach
Gratwanderung zwischen Schutz und sozialer Arbeit

Stadtmitte. „#StayHome“ – „Bleib zu Hause!“ Das ist die Devise in der Corona-Krise. Doch was machen die Menschen, die nicht daheim bleiben können, weil sie kein Zuhause haben? So wie jene 25 Männer, meist dieselben, die Abend für Abend das Nachtasyl der Rostocker Stadtmission am Güterbahnhof aufsuchen. Duschen, Wäsche waschen, im Notfall auch etwas zu essen bekommen, schlafen. Morgens um sieben Uhr geht es wieder raus auf die Straße. Gleiches gilt für Frauen, deren Notübernachtung durch die Rostocker Stadtmission im Hawermannweg realisiert wird.

Vera Pürckhauer, Vorstand der Diakonie Rostocker Stadtmission e.V., sagt: „Sieben bis neun wohnungslose Frauen kommen täglich dorthin. Das ist viel für Rostock, hat jedoch nichts mit Corona zu tun. Bis vor einiger Zeit waren es eine bis zwei Frauen, ihre Anzahl ist im vergangenen Jahr gestiegen.“ Notübernachtungen sind ordnungsrechtliche Einrichtungen, sie öffnen abends, schließen morgens. Überall in Deutschland.

Abstand halten – bei Stockbetten nicht so einfach.

Kleine Räume mit jeweils mehreren Stockbetten – viel Platz, um genug Abstand zu halten zum Schutz vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus, gibt es in den Nachtasylen in Rostock nicht. Trotzdem versuche man, so Vera Pürckhauer, den Menschen den nötigen Abstand so gut es ginge zu ermöglichen. Dazu gehört auch, dass das „Wärmestübchen“ der Stadtmission am Güterbahnhof, das im Winterhalbjahr geöffnet und seit Ende März geschlossen hat, bei Bedarf mit als Nachtasyl genutzt wird.

Vera Pürckhauer: „In der Notunterkunft für Frauen ist es einfacher, weil sie weniger sind. Wir tun alles, was möglich ist, um in unseren Einrichtungen den Schutz aller zu sichern – der Betreuer und der Menschen, die zu uns kommen. Rostock ist viel kleiner als beispiels- weise Hamburg. Dies ist momentan von Vorteil, denn dort kommen teilweise bis zu 300 Menschen in die Notübernachtung. Die Herausforderungen durch Corona sind da noch mal um ein Vielfaches größer.“

Menschen können ins „ambulant betreute Wohnen“ wechseln

Zu jeder Zeit besteht für Menschen, die in Rostock die Nachtasyle! aufsuchen müssen, das Angebot, „von uns in eine betreute Wohnform vermittelt zu werden“. Das müsse auf eigenen Wunsch des Betroffenen geschehen. „Wir helfen dann sofort“, so Vera Pürckhauer. 

Auch seelische Probleme machen es den wohnungslosen Menschen oft schwer, sich für eine Vermittlung in diese Wohnform zu entscheiden. Ziel des betreuten Wohnens ist es, obdachlosen Menschen nicht nur ein Dach über dem Kopf zu geben, sondern ihnen wieder eine weitgehend eigenständige Lebensführung und die Teilhabe am Leben in der Gemeinde zu ermöglichen. Im „Ambulant betreuten Wohnen“ der Rostocker Stadtmission im Hawermannweg gibt es 130 Plätze. Gewohnt wird meist zu zweit in einem Zimmer. Aus Angst vor Corona „bleiben unsere Bewohner auf eigenen Wunsch derzeit für sich, allein oder zu zweit, nehmen von intensiver Betreuung Abstand“, berichtet Einrichtungsleiter Hartwig Vogt. Viele der fast 130 Bewohner zählen aufgrund ihres Alters und/oder durch Vorerkrankungen zur Risiko- gruppe. 35 von ihnen sind auf tägliche Pflege angewiesen. Der Gang nach draußen und der Kontakt untereinander werden auf das Not- wendigste beschränkt. Überall im Haus gibt es Desinfektionsspender, Hygiene hat noch mehr Priorität als in „normalen Zeiten“. Fluktuation oder Besuche von außen werden vermieden. Hartwig Vogt: „Es passt jeder verstärkt auf. Unsere Mitarbeiter und die Bewohner.“

Kein Covid-19-Fall in den Rostocker Einrichtungen

Die Stadtmission kümmert sich auch um von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen. Wegen der Corona-Pandemie kann die „Ambulant aufsuchende Betreuung“ im Moment nur stark eingeschränkt bis gar nicht stattfinden. „Wo vielleicht nicht selbst eingekauft werden kann, kümmert sich der Betreuer darum, stellt den Einkauf vor die Wohnungstür. Die meisten in diesem Bereich zu Betreuenden verzichten auch hier gerade von sich aus auf persönlichen Kontakt mit ihrem Sozialarbeiter“, so Vera Pürckhauer. Bislang gab es in den Einrichtungen der Rostocker Stadtmission noch keinen Covid-19-Fall. „Und wir wünschen uns natürlich, dass das auch so bleibt“, sagt Vera Pürckhauer. Für den Ernstfall ist vorgesorgt. „Die Notübernachtung würde dann zum Beispiel komplett unter Quarantäne gestellt.“ Im „Ambulant betreuten Wohnen“ werden generell Zimmer freigehalten, falls eine Quarantäne nötig würde.

Gratwanderung zwischen Schutz und sozialer Arbeit

Wie überall fehlen auch in Rostock Schutzmasken und Ähnliches in ausreichender Menge. Die Stadtmission bemüht sich sehr darum, alle Mitarbeiter mit solchen Masken auszustatten. Richtigen Schutz bieten diese Masken jedoch nur, wenn auch das Gegenüber eine trägt. „Manchen, vor allem alten Menschen, machen die Masken auch Angst. Es ist gerade für uns alle eine Gratwanderung zwischen Schutz und sozialer Arbeit.“ Darum liegt Pürckhauer am Herzen: „Ein großes Danke an unsere Mitarbeiter! Sie leisten Großartiges – immer und jetzt besonders.“

Dankbar ist man bei der Stadtmission auch für die Spendenbereitschaft der Rostocker. Vera Pürckhauer: „Es ist eine große Freude für uns, zu sehen, wie viele Lebensmittelspenden die Rostocker Tafel er- reicht haben.“ Spenden von Gastronomen, Firmen, Privatpersonen. Spenden, die bedeuten, dass die Tafel, unter Einhaltung aller Sicherheitsmaßnahmen, aufbleiben und Bedürftigen weiter geholfen werden kann.

Spenden können kontaktlos übergeben werden

Wer zum Beispiel die Bewohner des „Ambulant betreuten Wohnens“ im Hawermannweg unterstützen möchte: Haltbare Lebensmittel, wie Konserven, sind sehr willkommen. Die Übergabe kann kontaktlos und nach Absprache mit Hartwig Vogt (Tel.: 0381/86 51 90) erfolgen.

Gebraucht werden zurzeit verstärkt Bettwäsche und Handtücher. „Und wenn jemand noch eine funktionstüchtige Waschmaschine hat, die er ausrangieren möchte, dann sind wir ein dankbarer Abnehmer“, sagt der Einrichtungsleiter. Für die Zeit nach Corona wünscht er sich: „aufmerksame Anerkennung unseres Berufes.“

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